Çillarim – Texte
Artur und das in uns
Lesung am 15. September 2024
in den Geheimen Gärten, Rolandswert
im Rahmen der Reihe Offene Gärten der Ahr.
Artur fragt seine Großmutter: „Wie geht das: Leben?“
Großmutter schaut den Jungen eine Weile an. „Artur“, sagt sie schließlich, „Artur, lebe wild und gefährlich.“
Gründet Inseln!
Die Zeit, eines der größten Rätsel, ist nicht einfach zu fassen.
Ein Versuch.
Einen Moment, bitte. Herr Peters stellt den Aktenkoffer ab, öffnet den Mantel, kramt in seiner Jackettasche.
Please, could you tell me the time?
Fernando
Für diesen Text vergab die Jury des Literaturbüros München im bundesweiten Wettbewerb den 1. Preis.
Fernando hat die Kette bekommen, er will damit die Weihnachtskrippe reparieren. Die Klingel hat Manolo, der Wirt, über seine Theke genagelt, und er läutet sie immer, wenn er abends zusperren will. Oder wenn jemand einen besonders guten Witz erzählt hat. Aber das kommt selten vor.
Flör versinkt
Einer der Texte, die sich der seltsamen Welt der Gärten und Pflanzen anzunähern versuchen.
Erschienen in Biss München.
Nie von einer Biene gestochen. Oder Hummel, Wespe, Hornisse. Sah Flör, leicht rundliche, weiche Frau von mittlerem Alter, die in einem persönlichen, umfassenden Zustand von Glück lebte, dass die von ihr ausgewählten Blumen umflogen wurden von solchen Tieren, ging sie in die Knie und schüttelte ihr kastanienbraunes Haar einige Male nicht zu wild von rechts nach links und zurück.
Der Riss
Erschienen in der Sammlung Ghost Reiterinnen der Gedok München
Ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem, was ist, habe ich den Heimatlosen insgeheim immer geneidet. Auch an dem Tag, als ich zum erstenmal Bekanntschaft mit dem Haus und seinen früheren Bewohnern machte, fuhr ich herum, wie ich es gelegentlich tue, einerseits ziellos, aber durchaus suchend in genau dieser Gegend. Mittagessen unter den Arkaden, die den Hauptplatz eines kleinen Ortes säumten. Oktoberwind. Warm, mit einer Unterströmung, die schon den Winter in die Schatten zeichnete. Mein Tisch stand geschützt auf der Terrasse des Lokals. Das Essen war einfach, angemessen. Ich schaute über den Platz, die geparkten Autos, den Brunnen in der Mitte, das Karrée aus Platanen, das die Linien der Häuserzeilen nachzog. Ein Spielfeld, dessen Regeln ich nicht kannte. Ich hatte keinerlei Erwartungen, spürte mein Fremdsein, ignorierte es ebenso wie den Wunsch, dazuzugehören, der mich wie oft in solcher Umgebung auch jetzt anfiel und mir jedes Mal die Vorstellung eingibt, sämtliche Menschen, die ich an anderen Tischen, in Geschäften, vor ihren Fahrzeugen, mit Einkäufen, Hunden, Kindern sehe, wären hier verwurzelt, am für sie einzig richtigen Ort, unlösbar und wie eingeschrieben hinter die Fenster und Mauern.
Ite! Ludite!
Die Emanzipation des Sancho Pansa
Für den Katalog zur Ausstellung Schach und Poesie, 2016, der Schach- und Kulturstiftung G.H.S.
Aus schwarzen Nächten und weißen Tagen zeichnet Jorge Luis Borges das Gefängnis, in dem sein Schachspieler festsitzt, unrettbar lebenslang. Wie seine Figuren weiß auch der Spieler nicht, welchen Zug die Hand der Vorsehung als nächsten für ihn parat hat. Nur das Ende ist gewiss: Omar Khayyams lyrischer Urteilsspruch packt alle, Mensch wie Figur, in die hölzerne Kiste.
Um Spiel, Ausstattung und Spieler des Schach kreist ein Kosmos, den die Fotografie bisher zuverlässig bebildert:
Bretter und Figuren – alt, modern, artifiziell oder schlicht, Kunsthandwerk oder fast schon Kunst. Spieler (seltenst:
Spielerinnen) – grübelnd am Brett, im Gespräch, einsam, zweisam, kongressgruppiert. Kunstwerke, Schach in vielen Formen enthaltend.
Sichtweisen
Das Gedicht erschien im Kalender der Gedok Franken.
Sicht weisen
Willst du mit mir die Stadt umrunden
auf einem Bein wie Riesen
jeder Schritt ein neuer Teich für
Kinder und bunte Boote
Oder fliegen
nachts
mit den Eulen
jagen
nach dem Ja, dem Nein
Vielleicht gehen wir zusammen
von Tür zu Tür?
Und wischen bloß die Zeichen ab –
doch, die gibt es immer noch und wieder
Wie gut, dass wir von den Bergen her kommen, von
Stille Einsamkeit unter Bäumen Felsen
Schutz gibt es und
gibt es nicht
Ulrike Budde, GEDOK München